Freitag 22.05.2015 – Conference

Nach siebeneinhalb Stunden Flug und einer kurzen Nacht startet um 9.00 Uhr die 1. International GOTS-Conference Mumbai. Tagungsort ist das Lalit-Hotel in der Nähe des Flughafens. Nach der Registrierung erwartet uns zunächst ein Frühstücksbuffet mit lockerem Smalltalk und einem ersten Kennenlernen. Der Großteil der anwesenden Delegierten stammt aus dem asiatischen Raum, die wenigen Europäer sind schnell ausgemacht und vor allem auf Organisationsseite zu finden.

„Hallo Jochen, Hallo Mr. Peter.“ Aus dem bunten Stimmengewirr kommt uns Avinash, der erste Vertreter meines Supply Chain, entgegen. Der Qualitätsmanager unseres Taschenproduzenten wird von einem Freund, der ebenfalls in der Branche tätig ist und dem Vertreter eines indischen Prüflabors begleitet. Schnell kommt ein lockeres Gespräch in Gang, bei dem wir schon den ersten interessanten Branchenklatsch zu hören bekommen.

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Session 1

Avinash und Jochen

Schon bald ruft uns ein lauter Gong in den Sitzungssaal. Storytelling: Brands‘ and Retailers‘ Business Case for Sustainability through GOTS, lautet der Titel der ersten von vier Sessions, die uns nach den Begrüßungen von Sumit Gupta (Konferenzkoordinator und lokaler GOTS-Vertreter) und Herbert Ladwig, dem deutschen GOTS Geschäftsführer, erwartet.

Moderiert wird die Runde von Claudia Kersten (GOTS Marketing Director) die uns zunächst das Dreisäulen-Modell der Nachhaltigkeit näher bringt und hier vor allem auf die ökonomische Dimension eingeht. Ein guter Einstieg. Denn wie sich noch zeigen wird, bewegt gerade auch die ökonomische Seite viele der anwesenden Delegierten.

Nach der Einführung präsentiert uns Charline Ducas von C&A Europe das Nachhaltigkeits-Engagement des Textilkonzerns. Leider nicht hier vor Ort. Da sie wohl Visa-Probleme hatte, kommentiert Sie ihre Präsentation aus der Ferne. In ihrem Vortrag beschreibt sie uns, wie C&A verstärkt auf Bio-Baumwolle setzt und nun auch eine erste GOTS-zertifizierte Babykollektion entwickelt hat. Weitere Produktlinien sollen in den nächsten Jahren folgen. Das Siegel gegenüber den Kunden zu kommunizieren, sei allerdings schwierig, da es zu wenig bekannt wäre und noch viel Customer Education in Sachen Nachhaltigkeit nötig sei. Wohl war! Aber vor diesem Argument den Herstellern keinen vernünftigen Preise bezahlen zu wollen – nun ja, zumindest fragwürdig.

Im Anschluß stellt uns Dr. Ulrich Hoffmann, dessen Brands Fashion GmbH einer der Hauptsponsoren ist, seine Geschichte vor. Wie man im Merchandising, aber vor allem im Bereich von Arbeitskleidung verstärkt auf Bio-Baumwolle setzt und welches Kundensegment deshalb bei ihm einkauft. Gegenüber C&A hat er den Vorteil, dass seine Kundschaft nachhaltige Produkte nachfragt und der Erklärungsbedarf weniger groß ist. Sein Problem sind eher die Restriktionen bei Mischgeweben mit Kunstfaseranteil, die teils mit den Anforderungen an Arbeitstextilien kollidieren.

Als letzter Redner betritt Shishir Goenka die Bühne. Seine Fusion Clothing Co. war das erste GOTS zertifizierte Unternehmen in Indien. Viel mehr kann ich dazu allerdings nicht sagen, da er sich mit unheimlicher Geschwindigkeit durch seine Powerpoint-Präsentation klickt. Mit ebenso schnellen Kommentaren, in einem Englisch an das ich mich erst noch gewöhnen muss. Er will aber wohl den anwesenden Unternehmern zeigen, wie er seine Produktion umgestellt hat und wie er heute die GOTS-Richtlinien umsetzt.

In der nachfolgende Gesprächsrunde liegt der Fokus vor allem darauf wie das Siegel zur Kommunikation mit den Kunden genutzt werden kann, dass in erster Linie den Retailern die Aufgabe der Customer Education zukommt und nicht zu Letzt wie man GOTS als Qualitätsstandard für indische Textilerzeugnisse etablieren kann.

Ein Unternehmer stelle die Frage, wie denn sein Mehraufwand für GOTS finanziell honoriert werde? Nach dem er zunächst keine befriedigende Antwort erhält, hakt er noch einmal etwas energischer nach: „I just asked a simple question, so please give me a simple answer. What’s the premium I can earn for GOTS products?“ Ulrich Hoffmann fasst es dann gut zusammen: Dass es zum einen vom Produkt abhänge, in erster Linie aber von der Größe des Kunden. Bei kleineren Firmen könnten es bis zu 30% sein, je größer aber der Kunde, desto geringer falle der erzielbare Aufschlag aus – unter Umständen könne er auch bei Null liegen. Eine Aussage die mich unweigerlich an die ökonomische Dimension denken lässt, von der in der Anmoderation die Rede war.  Und ein Thema, das sich wie ein Roter Faden durch viele Gespräche an diesem Tag ziehen wird.

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Session 2

Nach einer kleinen Pause geht es in die 2. Session. Zunächst präsentiert uns Marcus Bruegel (GOTS Technical Director) unter dem Titel Going for GOTS, den Ablauf und die Rahmenbedingungen einer GOTS-Zertifizierung. Im folgt der General Manager der Control Union Indien, Binay Kumar Choudhury, der einen Überblick über die Richtlinien gibt und wie diese im Supply Chain kontrolliert werden. Audit Checklist and Methods: Ecological and Social Compliance ist sein Vortrag überschrieben.

Bei Rahul Bhajekars (Hermes Eco Laboratories, India) Risk Management in Chemical Use and Testing, muss ich zugegebenermaßen aussteigen. Er referiert über die Ausrüstung, das Färben und die Bedruckung von Textilien. Chemie war leider noch nie meine Stärke; das Thema betrifft aber auch uns. Ignorieren doch gerade im Werbeartikelbereich viele Händler und Druckereien den Umstand, dass GOTS-gelabelte Textilien nur von einer zertifizierten Druckerei bedruckt werden dürfen.

Auch der letzte Vortrag, zu dem Marcus Bruegel wieder die Bühne betritt, schneidet diese Problematik an: Labelling Organic Textiles – Legal conditions and GOTS Requirements. Neben den Vorgaben, wie ein korrektes GOTS-Label auszusehen hat, spricht er darüber unter welchen Voraussetzungen das Label genutzt werden darf. Alles schön und gut, aber wer kontrolliert das? Sind wir hier doch wieder bei der Druckerei-Problematik von oben. Eine existentielle Frage, auf die wir in Mumbai leider keine befriedigende Antwort finden werden.

Die anschließende Fragerunde dreht sich dann auch um Kontrollabläufe, um die Neuerungen in GOTS 4.0 und um den Einsatz chemischer Hilfsmittel. Bemerkenswert sind dabei zwei Wortmeldungen. In der Ersten beschwert sich ein Hersteller, dass er in einem kleinen Marktsegment arbeite und die Dokumentationsvorgaben für ihn nicht wirklich umsetzbar seien. Hach, denke ich. Ist diese Frage nicht auch einer unserer Gründe für den Besuch dieser Konferenz?

Gegen Ende erhebt sich dann rechts von mir noch ein älterer Mann. Ein Vertreter von Baumwoll-Farmern wie sich herausstellt, der sichtlich erregt eine Reihe von Forderungen von einem Blatt Papier abliest. Auch ihm geht es wieder darum welchen Nutzen GOTS für die Erzeuger hat und wie ihre Arbeit honoriert wird.

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Session 3

Nach der Mittagspause geht es in der dritten Vortragsrunde um Sustainability Standards: National or International? Besprochen wird das Verhältnis zwischen freiwilligen, privaten Standards und staatlich kontrollierten Vorgaben. Eine Thematik die wir in Deutschland ja schon von den Erzeuger-Siegeln kennen, die in Konkurrenz zum schwächeren EU-Bio-Siegel stehen. In einem Videobeitrag gibt hier Mathieu Lamolle vom ITC (International Trade Center) einen Überblick wie internationale Institutionen eingreifen können – oder auch nicht – und wo die Problematiken bei solchen Vereinbarungen liegen.

Auf dem Podium ist man sich dann auch einig, dass es einer starken und unabhängigen Initiative benötigt, um einen hochwertigen internationalen Standard zu definieren. Gerne mit Unterstützung von staatlicher Seite, nicht aber maßgeblich durch diese initiiert. Stehen sonst doch zu oft politische Gründe und weniger die globale nachhaltige Entwicklung im Zentrum der Entscheidungen.

In der anschließenden Pause läuft uns Vincent von EcoCert über den Weg, wahrscheinlich eher in die Falle. Als Partner unseres Zertifizieres IMO ist er unser Ansprechpartner vor Ort. Natürlich sprechen wir ihn auch auf den immensen Verwaltungsaufwand an, den die Neuerungen in GOTS 4.0 mit sich gebracht haben und welche Lösungswege er hier sehe. Er bestätigt die Vorgaben, hat aber auch keine Lösung parat und ist glaub ziemlich froh, dass sich jemand dem Gespräch anschließt und wir das Thema wechseln.

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Session 4

Den Einstieg zu Session Vier: Supply Chain Challenges and Opportunities with GOTS, verpasse ich, da ich vor dem Saal Marcus Bruegel treffe, von dem ich als einen der maßgeblichen Verantwortlicher für den Standard, eine Antwort auf meine Frage erhoffe. Auch er bestätigt mir, dass ich im Worst Case, mit mehr Aufwand für die GOTS-Verwaltung als die Auftragsabwicklung rechnen muss und dass bei Kleinaufträgen dabei dann schon einmal 25-50% des Rohertrags an den Certification Body abfließen können. Aber da müsste ich mich an meinen Zertifizierer wenden, der da einen gewissen Spielraum habe. Ok Vincent also … aber damned der hat doch auch keinen Plan?

Etwas unbefriedigt gehe ich zurück zu meinem Platz im Saal und bekomme gerade noch mit, wie ein großer Hersteller zugeben muss, dass auch er keinen Cent mehr dafür bekommt, dass er den Aufwand für GOTS betreibt. Man habe ihn damit gelockt, dass er, wenn er für eine internationale Marke arbeiten würde, dies ja nutzen und so neue Aufträge bekommen würde – nur sei dem in der Realität halt nicht so. Das übliche Argument der Großen: Wir sorgen für das Grundrauschen, verdienen musst du mit anderen Aufträgen. Leider keine wirklich langfristige und schon gar keine nachhaltige Strategie.

Am Abend klingt die Konferenz dann mit einem Buffet und vor allem an der Bar aus. Networking ist noch einmal angesagt. Bei reichlich Mixgetränken, Bier und vorzüglichem indischem Wein werden ein letztes Mal Kontakte und News ausgetauscht. Mit fortschreitendem Abend nimmt das Tratschniveau dabei deutlich zu. Irgendwann gegen Zwölf macht sich dann der wenige Schlaf der letzten Tage bemerkbar und ich ziehe mich in die Ruhe meines Hotelzimmers zurück. Was für ein Tag.

Einen ausführlichen Bericht in englischer Sprache gibt es auch auf der Website des Global Organic Textil Standards (GOTS).

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